Interview: Bei Tesla in Fremont würde kaum was ohne deutsche Technologie laufen. Wir sollten uns also nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und unsere Unternehmertalente mehr unterstützen, findet Matthias Hohensee.


Matthias Hohensee lebt mittlerweile seit 20 Jahren in Kalifornien und berichtet von dort als Silicon Valley Korrespondent der Wirtschaftswoche aus dem Nukleus der digitalen Revolution. Damit gehört er in Deutschland zu den führenden Valley-Experten und hat vor Ort bereits den besonderen unternehmerischen Spirit aufgesaugt, lange vor den mittlerweile beliebten Spitzenmanagement-Tourismusreisen.  Nicht nur kenne ich seine großartigen Berichte seit meiner Studienzeit, sondern schätze vor allem die stets wachrückelnden Botschaften. Trotzdem hat er sich (ganz Vollblut-Journalist) eine gesunde Distanz bewahrt und berichtet auch stets kritisch über Ausschweifungen aus dem Valley. Mit Matthias spreche ich darüber, wie Deutschland im digitalen Zeitalter bestehen kann und worauf es wirklich ankommt, wenn man auch zukünftig erfolgreich sein will. Viel Spaß beim lesen!

RUPPERT

Lieber Matthias, du lebst ja bereits seit vielen Jahren in Kalifornien und bist u.a. für die Wirtschaftswoche im Silicon Valley am digitalen Puls der Zeit. Wenn du mit deiner Erfahrung aus dem Valley und mit dem Blick von außen auf Deutschland schaust: Wie nimmst du den deutschen digitalen Standort wahr? Was für Auffälligkeiten oder unternehmerische Verhaltensweisen fallen dir von außen besonders stark auf? Im positiven wie im negativen?

Glücklicherweise haben wir immer noch ambitionierte Talente in Deutschland, die trotz wesentlich schwieriger Standortbedingungen wie Finanzierung und Bürokratie erfolgreiche Unternehmen gründen. Ich denke da beispielsweise an FlixMobility. Negativ ist, dass viele Banken Selbstständige immer noch zuerst als potentielle Bankrotteure sehen und ein Scheitern als Stigma gilt. Zwar gibt es mehr Wagniskapital, doch viel zu wenig im internationalen Maßstab. Was auch an privaten Investoren liegt, die eben lieber in Nordamerika oder Asien ihr Geld anlegen.

MATTHIAS

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Aus meiner Sicht kann man das Thema Rahmenbedingungen und Umgebung gar nicht hoch genug bewerten. Ein Steve Jobs adoptiert von einer Familie aus Böblingen Baden-Württemberg hätte wahrscheinlich nie diese Wucht entwickeln können wie ein Steve Jobs adoptiert von einer Familie aus Palo Alto Kalifornien. Wenn wir mal das Thema VC ausklammern, was muss deiner Meinung nach passieren, damit perspektivisch ein Steve Jobs doch einmal aus Böblingen kommen kann?

Ich denke, dass ein “neuer Steve Jobs” von überall her kommen kann. Elon Musk ist beispielsweise Südafrikaner. Mit Sebastian Thrun, dem Vater des selbstfahrenden Autos und nun treibende Kraft hinter Flugtaxen, haben wir ein Ausnahmetalent aus Solingen. Andreas von Bechtolsheim kommt vom Bodensee. Peter Thiel wurde in Frankfurt geboren.

Die Frage ist, wo sie sich richtig entfalten können. Das ist in Nordamerika der Fall, künftig vielleicht Asien. Das Silicon Valley ist nicht nur erfolgreich, weil es Talente aus aller Welt anzieht. Sondern hier sehr schnell Unternehmen hochskaliert werden können, weil es die nötigen Mitstreiter, das erforderliche Kapital und einen großen Heimatmarkt gibt. Die Mitstreiter gibt es sicherlich auch in Deutschland. Der kleinere Markt kann durch schnellere Internationalisierung überwunden werden, auch wenn es schwerer ist. Dann sind wir wieder beim mangelnden Kapital. Und der Gefahr, dass man beim Scheitern sein Leben lang gebrandmarkt ist.

MATTHIAS

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Deutschland hat ja viele Tugenden die in der Vergangenheit richtig förderlich waren: Eine absoluten Optimierungsfimmel und radikale Prozesssucht. Was in der Vergangenheit für viele Branchen wie die Automobilbranche und den Maschinenbau absolut förderlich war, droht in einem digitalen Zeitalters des experimentieren und MVPs zum Nachteil zu werden. Wo helfen uns die alten Tugenden noch weiter und welche sollten wir deiner Meinung nach schleunigst aneignen, wenn wir in DE auch zukünftig noch digital mithalten wollen?

Und du hast natürlich völlig recht. Die großen Talent können von überall kommen, es ist aber die Umgebung die bestimmt ob sie sich auch voll entfalten.

Die nächste große Welle wird die Automatisierung möglichst aller Prozesse sein, bei der Maschinen nicht nur miteinander kommunizieren, sondern auch Entscheidungen treffen. Die Digitalisierung der Wirtschaft also. Da könnten uns unsere alten Tugenden durchaus wieder helfen.

Anderseits wäre es ideal, wenn wir ab und zu auf diese Tugenden verzichten könnten, damit Innovation nicht durch den Regelwahn schon in der Wiege ermordet wird. Vor allem in der Startphase. Unternehmen wie Uber, Airbnb, aber auch Google sind groß geworden, weil sie Regeln eben gerade nicht beachtet haben. Google hat die Webseiten-Betreiber nicht gefragt, ob Inhalte indiziert werden dürfen. Uber und Airbnb haben keine Genehmigung von den Städten eingeholt. Inzwischen müssen sie natürlich auch Regeln einhalten. Aber sie sind etabliert und bessern nun nach. Oder ignorieren es

Google ist ja gerade von den EU-Wettbewerbsbehörden zu fünf Milliarden Dollar Strafe verdonnert worden, weil sie dem Markt mittels Android ihre Dienste aufgezwungen haben. Klingt viel. Aber was ist es wert, mindestens 80 Prozent der Smartphone-Nutzer zu erreichen? Kann und muss man sicherlich alles kritisch hinterfragen. Regeln haben auch gute Seiten. Aber wo nichts entsteht, kann man leider nichts nachbessern.

MATTHIAS

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Absolut, auf diese Weise wurde insbesondere der Endkonsumentenbereich mit großen Plattformen aus der Westküste dicht gemacht. E-Commerce ist zu mit Amazon. Die Suche mit Google. Mobilität wird massiv besetzt von Uber. Immobilien von Airbnb. Wo siehst du noch Chancen und Potentiale für DE im digitalen Bereich eine klare Position zu besetzen, ähnlich wie wir sie heute noch mit der Automobilbranche oder im industriellen Bereich haben, um sich auch gegenüber den großen digitalen Spieler aus West und Ost behaupten zu können?

Zunächst sollten wir verteidigen, was wir bereits haben. Beispielsweise die Automobilbranche. Wenn man Elektroautos für unsinnig hält, muss man zumindest mit etwas anderem kontern. Ebenfalls den Verkauf mittelständischer Weltmarktführer an ausländische Investoren, die damit die Wettbewerbsfähigkeit ihrer eigenen Wirtschaft aufrüsten wollen. Dass Plattformen jahrelang unsere Infrastruktur nutzen, ohne sich entsprechend mit Steuern zu beteiligen, muss eingedämmt werden. Ich mache Amazon oder Apple keinen Vorwurf. Sie haben ausgenutzt, dass sich Politiker in Europa untereinander mit Steuerschlupflöchern austricksen wollten. Potential sehe ich im Mobilitätsbereich, gerade beim Verändern von urbanen Strukturen, dem Entwerfen von modernen Städten. Da sollten wir uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Auch im Energiebereich, beim Nachfolger des Lithium-Ionen Akkus etwa, gibt es große Potentiale. Künstlicher Intelligenz mag momentan mehr angedichtet werden, als sie zu leisten vermag. Aber das Potential ist ohne Frage vorhanden und wir haben in Deutschland auch die nötigen Talente dafür.

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Wenn man mal von den omnipräsenten Zukunftsthemen Künstliche Intelligenz, Daten und Voice absieht, was sind deiner Meinung nach die nächsten potentiellen Themen, die noch etwas unter dem Radar der Aufmerksamkeit sind, aber eine von der Öffentlichkeit noch völlig unterschätze Wucht entwickeln können? Themen wo auch noch nicht alle Felle verteilt sind?

Nicht wirklich neu, aber die Digitalisierung der Gesundheitsbranche wird ein riesiges Thema. Schon allein, um den Fortschritt in der Medizin zu finanzieren und Ärztemangel auszugleichen. Um Krankheiten zu besiegen, brauchen wir bessere Analysegeräte, um beispielsweise die Rolle von Proteinen tiefer zu verstehen. Wenn Transport zudem künftig wirklich für jedermann erschwinglich ist, wie wird das Ballungszentren verändern? Geht es dann von der Stadt wieder stärker aufs Land? Findigen Unternehmen fällt dazu bestimmt was ein.

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Letzteres finde ich super spannend. Insbesondere wo es mit Deutschland kaum ein Land gibt, dass flächendeckend so dicht besiedelt ist mit Dörfern, kleinen und mittelgroßen Städten. Wie schauen die Menschen und Unternehmer aus dem Valley aus digitaler Sicht auf Deutschland. Sehen sie darin eher einen schlafenden Riesen, eine Rocket Internet Copy Industrie oder eine große Volkswirtschaft die droht abgehängt zu werden?

Und wie du ja schon meintest: Vielleicht haben wir mit FlixMobility zum Thema Land und Stadt tatsächlich mal ein richtig heißes Eisen im Feuer 😉.

Deutschland genießt immer noch einen guten Ruf hier. Insbesondere deutsche Ingenieurskunst. Bei Tesla in Fremont würde kaum was ohne deutsche Technologie laufen, von Pressen bis hin zu Bauteilen. Deutsche Internet-Nutzer gelten als experimentierfreudig und werden von hiesigen Online-Unternehmen wegen ihres ehrlichen Feedbacks geschätzt.

Deutsche Internet Startups sind weniger bekannt. Deshalb ist Flixbus so eine große Ausnahme, zumal sie jetzt sogar begonnen haben, den amerikanischen Markt zu erschließen.

Es gab mal eine Zeit, wo hiesige Gründer vorsichtig wegen Rocket Internet waren und auch ein wenig sauer. Aber das ist Jahre her. Zumal klar ist, dass Kopien meist nicht funktionieren, vor allem in Europa. Eine Idee ist nur dann was wert, wenn sie auch umgesetzt wird. Meiner Meinung nach wird zu wenig geschätzt, was die Samwer Brüder für Deutschland und vor allem Berlin als Standort für Internet Startups getan haben.

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Wenn jetzt zunehmend mehr Unternehmer neben den Samwers beginnen hervorzutreten und mithelfen den Digital-Standort DE aufzubauen und besser zu machen, was wären in diesem Zusammenhang deiner Meinung nach die Top 3 Denkmuster die man mitbringen sollte, um eine neue Marke, ein Produkt oder digitalen Service in einer GAFA dominierten Welt zu etablieren?

Ich denke, dass sich die Grundformel nicht verändert hat und international gilt. 1: Identifiziere ein echtes Problem, das groß genug ist, um die Unternehmung lohnenswert zu machen. 2: Löse es mit einem neuen Ansatz, auf den andere nicht gekommen sind oder ihn nicht versuchen wollen. 3: Wenn was in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, bedeutet das nicht, dass das immer noch so ist. 4: Lerne von anderen. 5: Halte durch, auch wenn Dich andere für grössenwahnsinnig erklären. 6. Hinterfrage ab und zu, ob Du vielleicht doch größenwahnsinnig bist. Aber das dürften schon die Investoren besorgen.

Beispiel Google - man hatte sich Ende der neunziger Jahre mit den Limits der bestehenden Suchmaschinen abgefunden. Der Markt galt an Unternehmen wie Altavista oder Excite verteilt. So sehr, dass Excite die eine Million Dollar, für die es Google hätte kaufen können, nicht ausgeben wollte. Und die Google-Gründer waren sich nicht zu fein dafür, das von Rivale GoTo ersonnene Modell des Vermarktens von Suchbegriffen zu kopieren.

Oder Uber. Ich kann mich erinnern, wie schwer es im Silicon Valley war, eine Taxe zum Flughafen zu bestellen. Einmal hätte ich fast meinen Flieger verpasst, weil mein Taxifahrer einfach nicht erschien. Man akzeptierte das damals einfach.

Google, Amazon, Facebook und Apple sind für das Etablieren einer Marke unerlässlich. Siehe Uber, das ohne die Appstores von Apple oder Google so nicht existieren würde. Eine Finanzierung für einen Frontalangriff auf die Großen dürfte allerdings aussichtslos sein. Obwohl mehr Wettbewerb wünschenswert wäre.

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Und was sind deiner Meinung nach die Top 3 überholten Denkmuster im Management, die man so schnell wie möglich über Bord werfen sollte?

Das Gemächlichkeit eine Tugend ist und nur das Marketing der Amerikaner besser ist. Viele Produkte sind heute nicht mehr endgültig fertig, gerade wenn ihre Funktionen durch Software bestimmt werden.

Nicht alle Innovation muss von außen kommen. Manchmal haben die eigenen Mitarbeiter bessere Ideen, die förderungswürdig sind.
Auslagern von IT liegt zwar im Trend, siehe Cloud Computing. Aber man sollte darauf achten, nicht alle eigene Expertise aufzugeben.

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Und zu guter Letzt: Hast du noch eine Buchempfehlung, die es sich lohnt zu lesen 🙂? Gibt es zur Zeit ein oder zwei Bücher die im Valley die Runde machen? Für gute Lesetipps bin ich immer dankbar 😎.

"Bad Blood: Secrets and Lies in a Silicon Valley Startup" von Wall Street Journal Reporter John Carreyrou beschreibt den Aufstieg und Fall von Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes von der Wunderkind-Unternehmerin bis zur mutmasslichen Betrügerin. Zeigt sehr schön die Schattenseiten des Hype im Silicon Valley

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Vielen Dank Matthias 🙂!

Gerne 😎!

MATTHIAS

MATTHIAS HOHENSEE

Wer mit Infos aus dem Valley versorgt werden will, dem empfehle ich den Twitter-Kanal von Matthias und seine Beiträge in der Wirtschaftswoche Online und in der Zeitschrift. Auch immer eine Lesereise wert das Edison Magazin. Viel spaß :-)!