Interview: Patric Faßbender ist mit einer Vision angetreten, die Art und Weise wie Kinder Audio-Inhalte hören völlig neu zu erfinden. Wie Ihm das gelungen ist, erläutert Patric in unserem neuesten Interview.


Die Geschichte der Toniebox fängt mit einem typischen Problem von Familien an: Als Papa von zwei Kindern ärgert sich Patric Faßbender immer wieder über kaputte Hörspiel-CDs, die total zerkratzt waren. Aus diesem Problem heraus entstand dann die Vision eines kindgerechten Audio-Systems, dass jedes Kind intuitiv bedienen kann. Patric Faßbender und Marcus Stahl, Gründer der Toniebox, haben damit offenbar einen absoluten Nerv getroffen. Bis Ende letzten Jahres haben beide mit ihrem Unternehmen Boxine über 800.000 Tonieboxen und circa sieben Millionen Tonies (= Tonträger) verkauft.

Patric ist trotz dieses Riesenerfolgs nicht nur super sympathisch geblieben, sondern prägt mit seiner Idee wahrscheinlich eine ganze Kindergeneration, die sich irgendwann einmal sehnsüchtig an Ihre Toniebox zurückerinnern wird. Wie man einen total intuitiven Zugang entwickelt, insbesondere für eine Zielgruppe, die sich kaum ausdrücken kann, und welche weiteren Stolpersteine kommen, wenn man etwas von Grund auf neu erfinden will, damit spreche ich mit Patric in unserem neuesten Interview. Viel Spaß beim lesen :-)!!

RUPPERT

Lieber Patric, wenn man sich ein digital vernetztes Produkt ausdenkt, dass für Kinder ist, kann es ja gar nicht einfach und intuitiv genug sein. Und das ist euch wirklich gelungen. Selbst unserer Zweijähriger bedient die Toniebox wie selbstverständlich. Einfach genial. Wenn du zurückblickst als ihr an den Details zur Toniebox gearbeitet habt, was würdest du Unternehmen mitgeben worauf es wirklich ankommt, wenn man genial einfache Zugänge designen möchte, die jeder auf Anhieb verstehen soll?

Antwort auf Frage 1: Das mit Abstand wichtigste ist, sich komplett in die Situation der Zielgruppe zu versetzen. Nur dieser Blickwinkel zählt. Keine wirklich neue Erkenntnis, aber leider wird es nicht immer konsequent gelebt. Ich habe mich natürlich auch auf theoretischer Ebene mit Design für Kinder auseinander gesetzt und viel dazu gelesen.

Da ich aber das Glück hatte die Zielgruppe bei mir zuhause zu haben, konnte ich meine Töchter quasi rund um die Uhr bei der Nutzung von Produkten beobachten. Dabei ist mir klar geworden, wie sehr viele Produkte rein aus Erwachsenenperspektive entwickelt wurden. Vor allem wenn es um elektronische Produkte geht. Das wollte ich anders machen. Schließlich ging es darum ein konkretes Problem im Kinderzimmer im Sinne der Zielgruppe zu lösen.

PATRIC

RUPPERT

Wenn man mit der Zielgruppe direkt zusammen lebt hilft das auf jeden Fall 😂! Was waren denn die augenscheinlichsten Dinge, wo man gemerkt hat, dass die Produkte rein aus der Erwachsenenperspektive konzipiert sind?

Ein schönes Beispiel ist zB die Beschriftung von Bedienelementen wie Reglern oder ähnlich. In der Regel kann ein dreijähriges Kind noch nicht lesen. Warum dann bitte "Play" an eine Taste schreiben? Auch noch in englisch! Oder die Symbole "+" für laut und "-" für leise ... in der Regel haben kleine Kinder diese Form von Orientierungshilfe oder Kennzeichnung noch nicht gelernt.

Daher ist es auch nicht wirklich sinnvoll diese zu verwenden. Auch die Haptik und Auswahl der Materialien ist oftmals an der Realität vorbei gedacht. Unser alter Hartplastik-CD-Player war ständig kaputt, weil er nich selten auf den Boden fiel. Eigentlich ziemlich simple Dinge, wenn man es sich so überlegt...

PATRIC

RUPPERT

Stimmt, eigentlich ziemlich offensichtlich... Aber wie stellt man sicher, dass man wirklich rein aus der Perspektive der „Zielgruppe“ auf ein Thema blickt und sich nicht verleiten lässt zu stark aus eigenen Ansichten und gelerntem abzuleiten? Ist ja oftmals sehr verführerisch, weil es so schön bequem ist und weniger Arbeit bedeutet. Und gerade bei Kindern denken ja Erwachsene oft gerne für die Kleinen gleich direkt mit. Gab es da einige Taktiken oder Kniffe die ihr empfehlen könnt?

In dem man die Zielgruppe immer wieder mit einbezieht und sich kritisch hinterfragt. Ein wirkliches Geheimrezept haben wir da nicht gehabt. Wir haben die Zielgruppe sehr ernst genommen. Das hört sich so selbstverständlich an ... ist es aber am Ende gar nicht.

PATRIC

RUPPERT

Als Probleme hattet ihr ja früh ausgemacht, dass CDs immer zerkratzen, die Geräte ständig runterfallen und die Kinder sie nicht bedienen können. Als ihr dann in der Lösungsfindung mit euren Protoypen wart, wie seid ihr da vorgegangen und was habt ihr euch alles angeschaut, um auf den richtigen Ideentrichter zu kommen?

Ihr kombiniert ja einiges an Ideen und Technologien. Zum Beispiel die Polsterung der Geräte wegen runterfallen, die Bedienung mit klopfen an der Seite um vor und zurück zu kommen oder das NFC Konzept mit euren Figuren, dass mich direkt an die Nintendo Amiibos erinnert hat 🙂. Kannst du da vielleicht ein paar Insides geben, wie ihr auf euren innovativen Lösungsansatz gekommen seid?

Es gab Themenfelder, die ich mir im Vorfeld sehr genau angeschaut habe und die ich neu denken wollte. Grob waren es die Themen Design, Haptik, User-Experience. Hier sah ich bei bisherigen Lösungen die meisten Defizite. In sofern habe ich hier den Fokus gesetzt.

Technologie war zu dieser Phase untergeordnet. Anspruch an das Design war z.B. für mich, dass Eltern nicht den Antrieb verspüren das Device aus ihrem Blickfeld zu entfernen, wenn die Kinder im Bett sind. Zugegeben eine niedrige Hürde 🙂 Die Design-Lösung sollte aber eben auch Eltern gefallen und eher schlicht sein. Und aufgrund der Zielgruppe "robust". Das war das kurze knappe "Briefing".

Die Haptik sollte Kindern Spaß machen. Sie sollte Wärme ausstrahlen. Wie ein Kuscheltier. Nicht wie ein Küchengerät. Die User-Experience war besonders spannend. Hier ging es darum Funktionen weg zu lassen, die wir als überflüssig gesehen haben. "Weniger ist mehr" wird inflationär zitiert. War hier aber absolut der Schlüssel. In Summe also ein kurzes knappes Briefing, welches einem relativ viel Spielraum gab.

Von da aus gehend gab es viele Skizzen, Konzepte und Ansätze. Und immer wieder kam ich auf eine gepolsterte Würfelform zurück. Diesen Weg haben wir dann konsequent verfolgt und gespürt, dass es funktioniert. Den verschiedenen Seiten Funktionen zuordnen (Landeplatz für Figuren oben, Ladestation unten, Lautsprecher vorne, Navigation links und rechts) und dem Würfel Leben einhauchen. Eine Seele.

Damit das Kind eine Beziehung dazu aufbauen kann. Was sich dann in ersten Tests auch absolut bestätigt hat. In sofern war eigentlich kein "Ideentrichter" notwendig, da wir recht schnell erkannten der Ansatz überzeugt uns dermaßen, dass wir ihn auch umsetzen sollten!

PATRIC

RUPPERT

Wow, da lese ich wirklich in jeder Zeile unglaublich viel Passion und Designspirit raus 🤩!! Und als ihr danach dann die technische Umsetzung anstand, wie seid ihr da rangegangen? Ihr nutzt ja unglaublich viele Technologien, von NFC-Chips für die Figuren bis zu einem eigenen Cloud-Service zur WLAN Einstellung und Verwaltung der Kreativ-Tonie! Wie sah da euer „Briefing“ aus, ohne dass es zu komplex für die Nutzer und zu teuer für euch wird?

Wir haben sehr viele Gespräche geführt mit Personen, die deutlich mehr technischen Sachverstand haben als wir. In Person von Cristian Wilmanns besetzte dann auch jemand, als aller erster Mitarbeiter, die Position des technischen "Leiters", um technische Optionen auch intern besser bewerten zu können. Wir haben uns viel angeschaut, versucht Vor- und Nachteile abzuleiten und mögliche Kosten- als auch Produkionsthemen im Blick zu haben.

Relativ schnell war klar, dass es auf Wifi und NFC hinausläuft. Schwieriger war die Entscheidung wie wir die Hardware angehen. Setzen wir auf Opensource und bereits Bewährtes oder entwickeln wir ganz fokussiert auf unseren Usecase komplett neu. Wir haben uns für letzteres entschieden, was vielleicht aufwendiger war, aber auf der anderen Seite eben auch die Möglichkeit eröffnet hat keine Kompromisse in Bezug auf die User-Experience zu machen. "Briefing" waren vor allem die bereits sehr konkreten Usecases, die wir erarbeitet hatten. Natürlich gab es auch schon ein paar technische Ideen. Aber da wir waren zu Beginn noch sehr offen.

PATRIC

RUPPERT

Als ihr dann das richtige Konzept hattet und auch wusstet, wie ihr es technisch angehen wollt - was waren dann deiner Meinung nach die drei größten Hürden die Ihr nehmen musstet um alles in die Skalierung zu bringen? Letztens habe ich gelesen, dass ihr mittlerweile schon 50 Mio Umsatz macht, was wirklich beeindruckend ist in der Kürze der Zeit. Da müsst ihr ja unglaublich viele richtige Entscheidungen getroffen haben 🙂.

Wi haben in der Tat sehr sehr viele Entscheidungen treffen müssen. Liegt in der Natur der Sache, wenn man voran kommen will. Und das kann richtig Spaß machen. Es waren auch falsche Entscheidungen dabei, aber das gehört dazu ... wichtig ist, wie man damit umgeht. Es ist sehr wichtig, dass man keine Angst davor hat Entscheidungen zu treffen, auch wenn man sich eventuell nicht zu 100% sicher ist muss man entscheiden. Besser als gar kein Entscheidung zu treffen.

Es ist gar nicht so einfach welche die drei größten Hürden waren. Für mich war die Entwicklungszeit eher wie ein ziemlich langer Hürdenlauf mit vielen Hürden. Man läuft los und bekommt immer mehr Sicherheit und Vertrauen, dass man die Hürden überspringen kann. Und im Idealfall nimmt das Tempo sogar zu.

Besonders war sicherlich die technische Entwicklung insgesamt. Hier vor allem die Firmware auf der Toniebox. Eine komplette Eigenentwicklung, die phasenweise holprig verlief. Wir haben sogar den Launch um ein paar Monate verschoben, da wir noch nicht glücklich mit der Performance waren. Eine schwierige und teure Entscheidung, aber goldrichtig.

Was wir absolut unterschätzt hatten war auch das Nähen der Toniebox-Hüllen. Hier hatten wir eine ziemlich genaue Vorstellung von der Qualität die wir haben wollten und waren nicht bereit Kompromisse einzugehen. Das war wirklich ein langer Weg bis wir schlussendlich happy mit dem Ergebnis waren.

Wenn ich mich nich für eine dritte Hürde entscheiden müsste, dann würde ich mich für einen Lizenznehmer entscheiden, den ich hier aber nicht nennen möchte :-) der Weg bis zum finalen Lizenzvertrag kann manchmal sehr langwierig sein!

PATRIC

RUPPERT

Wie findet man aber den gesunden Weg zwischen qualitativem Anspruch und pragmatischem voranschreiten? Heute ist es in der Digitalbranche usus nach dem Prinzip „Better done than perfect“ vorzugehen.

Ist aber bei digitalen Produkten die auch physisch astrein funktionieren müssen wie die Toniebox nicht ganz einfach. Gab es da auf eurer Seite Erfahrungen wie man das in Einklang bringen kann? Schließlich kostet jedes aufschieben unglaublich viel Geld, gleichzeitig ist bei einem zu früh gelaunchten und fehlerhaften Produkt die Marke direkt im Eimer.

Du hast vollkommen recht. Bei digitalen Produkten kannst du in der Regel anders verfahren, da du auch nach Launch noch „eingreifen“ und optimieren kannst. Macht manchmal sogar total Sinn. Aber bei einem physischen Produkt, mit sehr langen Produktionszeiten und teuren Entscheidungen für z.B. Werkzeugbau, ist das recht anders gelagert! Eine Werkzeugänderung kann teuer werden.

Evtl. musst du sogar laufende Produktionen stoppen. Daher haben extrem hohen Wert darauf gelegt ein möglichst perfektes Produkt zu schaffen. Dabei war die Firmware der Toniebox Teil dieser Überlegung. Hier optimieren wir zwar permanent, da die Software OTAA-fähig ist, aber uns war auch klar, dass wir als neue Marke mit einer Zielgruppe die unerbittlich ist, nämlich Kinder, einen sehr hohen Grad an Perfektion erreichen sollten.

Sonst hätten wir wahrscheinlich keine Chance gehabt. Aus dieser Überzeugung heraus kommend hatten wir den Launch ja auch verschoben, was in der Tat teuer war. Um zu schauen, wo stehen wir denn, wie perfekt ist denn unser Produkt tatsächlich, haben wir extrem viel getestet. An der Zielgruppe, in UI/UX-Laboren, an uns selbst. Die Erkenntnisse sind dann permanent in die Entwicklung geflossen. Hier haben wir keine Kosten und Mühen gescheut. Dies Grundhaltung war es am Ende aber, die uns dazu geführt hat ein Produkt in sehr guter Qualität auf den Markt zu bringen. Wir wussten wir haben nur diesen einen Moment…

PATRIC

RUPPERT

UX Labor mit Kindern stelle ich mir mal super spannend vor 😂! Wie genau habt ihr das aufgebaut, auch im Vergleich zu klassischen UX Labors wo mit Erwachsenen getestet wird? Kann mir gut vorstellen, dass man das dann doch ein bisschen anders aufziehen muss. Und wenn die Kleinen mit einem Gerät zum spielen anfangen, dass einem manchmal da so ein bisschen die Schuppen vor den Augen abfallen.

Das UX-Labor war eher wichtig in Bezug auf die Eltern. Hier haben wir den ganzen Setup-Prozess auf Herz und Nieren geprüft. Versteht der Kunde wie er die Toniebox ins WLAN einbindet, sind unsere Anleitungen auf den Punkt, gehen wir sensibel genug mit den Medienbrüchen um usw.

Kinder waren zwar auch dabei, aber der Fokus lag hier tatsächlich eher auf die Zielgruppe Eltern, die ja in der Regel die erste User-Experience erfahren und überzeugt werden müssen. Die Kinder selbst mussten eigentlich "nur noch" Tonies aufstellen und loshören. Dieses Erfolgserlebnis ist aber durchaus auch Teil der User-Experience. Denn für Eltern gibt's ja kaum etwas schöneres als die eigenen Kinder glücklich zu sehen...

PATRIC

RUPPERT

Was wären in diesem Zusammenhang deiner Meinung nach die Top 3 Denkmuster die man mitbringen sollte, um eine neue Marke, ein Produkt oder digitalen Service in einer GAFA dominierten Welt zu etablieren?

Schwierige Frage. Natürlich machen die GAFAS in vielen Bereichen einen sehr sehr guten Job. Und hier kann man sich auch viel abschauen. Ich weiß nicht, ob ich es Denkmuster nennen würde, aber im Prinzip würde ich die drei Herangehensweisen in den Vordergrund stellen: Immer vom Kunden aus denken, Marke auf ALLEN Kommunikationsebenen Richtung Kunde "leben", aber vor allem geläufige und gelernte Denkmuster hinterfragen!

PATRIC

RUPPERT

Vielen Dank 😎👍! Und was sind deiner Meinung nach die Top 3 überholten Denkmuster im Management?

Kontrolle, Energie darauf verschwenden Schwächen ausgleichen zu wollen, Druck. Sicherlich gibt es noch viele andere, aber diese fallen mir spontan ein. Am Ende geht es doch darum im Team Leidenschaft für eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Zu begeistern. Wenn man das schafft hat man schon wahnsinnig viel erreicht.

PATRIC

RUPPERT

Und zu guter Letzt: Hast du noch ein, zwei Buchempfehlungen, die es sich lohnt zu lesen 🙂? Für gute Lesetipps bin ich immer dankbar 😎.

PATRIC

RUPPERT

Klasse, vielen Dank lieber Patric 😎

Gerne 😎!

PATRIC

PATRIC FASSBENDER

2014 gründete Patric Faßbender gemeinsam mit Marcus Stahl das Unternehmen Boxine GmbH, um die Vision der Toniebox auf den Markt zu bringen. Heute beschäftigt Boxine über 90 Mitarbeiter und macht über 50 Millionen Umsatz. Eine echte Erfolgsgeschichte, die Hoffnung und Vertrauen gibt für anderen deutsche Unternehmen, Ihre Branche ebenfalls neu zu erfinden :-).

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